Visionen

"Der Schachspieler sitzt in der S-Bahn. Sein Gegenüber liest die BILD. Bundeskanzler kann er lesen, und Schmidt. Ganz in fett. Ja wat denn. Nu blätter ma. Schließlich tut der es. 'TOT!' Oh Gott. Der Schachspieler weiß, dieser Tag wird richtig schei - Luftschutzsirenen unterbrechen ihn."
So oder ähnlich hat es mal euer Reporter aufgeschrieben, vor vielleicht 10 Jahren, als Parodie-Fingerübung 'HVV 2033' auf die gerade angesagte Post-Doomsday-SF-Reihe 'Metro 2033'. Nun, euer Reporter hat gelegentlich Visionen, für die er zum Arzt gehen sollte, auch die atomare Apokalypse ist immer noch nicht eingetreten (dafür hat er Trump und Facepack nicht vorhergesehen), und selbst der unverwüstliche Schmidt hat es nicht bis zur 115 geschafft, und Bundeskanzler war ihm erst recht nicht mehr nach, auch wenn uns dies viel erspart hätte. Aber auch 95 sind schon biblisch zu nennen, und seines 5. Todestages wird dieses Jahr eine große Ausstellung im Helmut-Schmidt-Haus gedenken.
Es war schon einiges aufgebaut, als es am Abend eine Partie "Sabbelschach" (wovon im Normalfall abzuraten ist, aber hier diente es ja zur Unterhaltung des Publikums, was etliche Male schallend auflachte) zwischen dem schon erwähnten Ulrich Stock (auch starker Schachspieler, ca. 1900 DWZ) und dem langjährigen Schachpartner von Schmidt, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, gab. Letzterer ist wohl eher im Amateurbereich anzusiedeln und verlor beide Partien durch einfache taktische Übersehen (immerhin wusste er, wann es Zeit zum Aufgeben ist, eine Fähigkeit, die nicht jedem gegeben ist).
Aber die Partien waren sicher Nebensache. Vor allem das legendäre falsche Eckfeld interessierte natürlich jeden. Die Erklärung Steinbrücks jenseits aller Shitstorms (zu Zeiten, als es noch keine Shithurrikans gab) war sehr banal: Er hätte entweder das Brett, in diesem Fall den sehr kleinen Schachtisch, drehen müssen (wobei dann wohl die Figuren durch die Gegend gekegelt wären) oder Schmidt, bereits auf einen Rollator angewiesen, wieder hochscheuchen müssen (O-Ton: "dann hätte er mich erschossen" :-).
Ansonsten gab es, wie nennt man es am besten, Polit-Smalltalk im Geiste des Schmidt'schen "Machbaren". Steinbrück, SPD, kann man durchaus ohne Verleumdung einen Konservativen nennen - "conservare", lat. "erhalten". Euer Reporter, gemäßigt ultralinks, verzichtet darauf, auf einer offiziellen Schachseite seine Privatmeinung zum an diesem Abend Gesagten zu geigen (dafür gibt es ja INSELSCHACH :-) und belässt es hierbei: Steinbrück wirkte in seinen Vorschlägen etwas hilflos-altbacken im Angesicht der Dringlichkeit des Problems von asozialen Medien und Restnaziverstärkern. Gerade die Sportvereine möchte ich hier mehr in der Pflicht sehen, die Jugend zu schützen und zu kritischem Denken jenseits ihres Smartphones erziehen. Soweit es ihnen überhaupt möglich ist. Unser "Chef", der Hamburger Sportbund, findet schon deutliche Worte für seine politische Positionierung, allein, die Taten zählen am Ende.

Hauke Reddmann